Gedanken zum Film

Fischer im Nebel

Ich erlebe mich selber als sehr widersprüchlich im Umgang mit meiner Zeit. Zuweilen kann ich sehr schnell, effektiv und rationell sein, und ich fühle mich wohl und angeregt dabei. Eine gewisse Hektik und ein hohes Arbeitstempo lösen bei mir oft ein Lustgefühl aus und geben mir die Befriedigung, innerhalb kürzester Zeit etwas zu erledigen. Hingegen merke ich auch, dass viele Prozesse, vor allem innere, extrem lange dauern können. Meine persönliche und filmische Auseinandersetzung mit dem Thema Trauer dauerte Jahrzehnte lang.

Graureiher

Mein Film 'SeelenSchatten' (2002) zeigt, wie in einer Depression die Zeit buchstäblich still steht, und man keine Zukunft mehr vor sich sieht. Dafür wiegt die Vergangenheit umso schwerer, und man quält sich mit Selbstvorwürfen. Mangels Aktivitäten lebt man in einer eigenartig strukturlosen Zeit. Man dümpelt vor sich hin, kommt nicht vom Fleck. Die Zeit wird empfunden, als würde sie kaum voran schreiten, und alles wird gleichförmig und schwer. In diesem Fall ist es also eine Krankheit, die einem aus dem normalen Lebensrhythmus herauswirft und zum "Liegenbleiben", zu einer ungewollten Auszeit, verurteilt. Mit meinem neuen Film verfolge ich mein Interesse an Unterbrüchen im Alltagsleben - wie auch immer sie geartet sind - weiter.

Nacht

Vor neun Jahren trat ich dem 'Verein zur Verzögerung der Zeit' bei. Gegründet vom geistreichen österreichischen Professor Peter Heintel aus Klagenfurt, besteht der Verein heute aus über 1000 Mitgliedern aus ganz Europa. Der Verein hat sich zum Ziel gesetzt, der Beschleunigung und Pausenlosigkeit unserer Gesellschaft ein Gegengewicht zu setzen. "Slow, but better working people" ist ein wichtiger Slogan des Vereins. Ich habe in den letzten Jahren an vielen mehrtägigen Symposien des Vereins in Österreich teilgenommen. So führe ich seit langem eine Auseinandersetzung mit dem Thema Zeit, das sich nun im neuen Film konkretisiert.

Leselampe

Als ich mich vor knapp drei Jahren entschieden habe, einen Film zum Thema Zeit zu realisieren, war mir von Anfang bewusst, dass ein Film mit einem abstrakten Thema mit all seinen unzähligen philosophischen Facetten kaum zu bewältigen sein würde. Erst der Fokus auf die Pause und damit auch auf den Wunsch nach Entschleunigung machte es mir möglich, den Film konkret anzupacken und zu realisieren. Zudem wurde mir bald klar, dass der Film die ganz konkreten Erfahrungen mit Zeit von Menschen ins Zentrum stellen muss. Erst im Erleben von Menschen wurde für mich Zeit filmisch fassbar und sinnlich.

Kondensstreifen

Im Verlauf der Entwicklung des Projekts, der Dreharbeiten und in der Montage hat sich der Film laufend verändert. Dieser 'Work in Progres' bewährte sich angesichts des komplexen Themas sehr und spiegelt einen zutiefst dokumentarischen Ansatz, der die Realität filmisch erforschen und sich dabei überraschen lassen will.

Dieter Gränicher